Arbeitsschutz – durch eine neue Qualität der Arbeit?

von W. Schultetus

 

Mit freundlicher Genehmigung

aus

angewandte Arbeitswissenschaft

Zeitschrift für die Unternehmenspraxis, Nr. 170, 12/2001
herausgegeben vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (IfaA)

 

Gliederung

 

1                    Eine Initiative

2                    Arbeit und Gesundheit

3                    Forschungsprogramme, Initiativen und Richtlinien zur Arbeitsgestaltung und zum Arbeitsschutz

4                    Die Umsetzung für eine neue Qualität der Arbeit

5                    Fazit

6                    Literatur

 

Zusammenfassung

Durch die ständige Anpassung der Arbeitsprozesse an die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen entsteht eine neue Qualität der Arbeit. Dabei spielt der Arbeits- und Gesundheitsschutz innerhalb der Qualität der Arbeit eine große Rolle. Methodisches Vorgehen bei der Planung und Realisierung von Arbeitsprozessen schafft eine wesentliche Voraussetzung für sicheres und effizientes Arbeiten.

 

Nachfolgend soll auf die Zusammenhänge zwischen Arbeit und Gesundheit eingegangen werden. Umfragen auf europäischer Ebene, Forschungsprogramme, Initiativen und Richtlinien zur Arbeitsgestaltung und zur Arbeitssicherheit werden kritisch hinterfragt und Beispiele neuer Strategien in den europäischen Nachbarländern vorgestellt.

 

Schlüsselwörter

Arbeitsbedingung, Arbeitsgestaltung, Arbeitsqualität, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Arbeitswissenschaft, Beanspruchung, Belastung, Initiative, Methodik, Normung, Organisation, Richtlinie, Risikofaktor, Unternehmer

 

 

1                    Eine Initiative

 

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) hat im August 2001 den Startschuss zur „Initiative für eine neue Qualität der Arbeit“ gegeben. Im Text zu dieser Initiative wird festgestellt: „Arbeit ist für unser geistiges und körperliches Wohlbefinden unverzichtbar. ... Wir brauchen auch in Deutschland eine neue Qualität der Arbeit. Eine neue Qualität der Arbeit erfordert eine neue Qualität der Kooperation. Daher verständigen wir uns auf eine gemeinsame Initiative. ... Unsere Gesellschaft braucht Beschäftigte, die gesund, leistungsstark, qualifiziert, motiviert und engagiert sind, die sich selbst fordern. Die Beschäftigten wollen Arbeit, die sie gern tun, die sie fordert und die Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten unterstützt, ohne sie zu überfordern und die Spielraum für Mitgestaltung bietet“ (BMA 2001).

 

Einen Monat später, im September 2001, fand in Brüssel eine Konferenz für eine bessere Arbeitsqualität statt, an der hohe Regierungs- und Kommissionsvertreter teilnahmen. Hauptziel dieser Veranstaltung war es, zur Erarbeitung von europäischen Indikatoren für die Qualität der Arbeit beizutragen (Europäische Stiftung 2001a). Diese Initiativen beschreiben selbstverständlich die notwendigen Handlungsfelder der Politik, erinnern aber gleichzeitig auch an die große Bedeutung des Arbeitsschutzes innerhalb der Qualität der Arbeit. Hiermit reihen sich die Initiativen ein in zahlreiche Aktivitäten des Bundesforschungsministeriums, die bis in die 70er Jahre zurückreichen. Um diese Initiativen richtig einordnen zu können, wollen wir einmal kurz Bilanz ziehen.

 

2                    Arbeit und Gesundheit

Auf der Brüsseler Konferenz stellte der Direktor der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Raymond-Pierre Bodin, unter Hinweis auf die dritte Untersuchung der Arbeitsbedingungen in der EU fest: „Es hat in der  EU in den letzten zehn Jahren keine automatische Verbesserung der Arbeitsbedingungen gegeben. Eine zunehmende Zahl von Arbeitnehmern ist arbeitsbedingten Belastungen und Gesundheitsproblemen ausgesetzt oder befindet sich in einem unsicheren Arbeitsverhältnis.“ Objektiv hat in Europa die Einschätzung der Arbeitnehmer, dass ihre Gesundheit und Sicherheit durch ihre Tätigkeit beeinträchtigt wird, in den letzten zehn Jahren etwas abgenommen (Europäische Stiftung 2001b). Im Jahr 2000 berichteten 27 % der 21.500 befragten Arbeitnehmer in allen Mitgliedsstaaten der  Europäischen Union – abhängig Beschäftigte und Selbstständige – über arbeitsbedingte Gesundheits- und Sicherheitsrisiken gegenüber 30 % in 1990 und 28 % in 1995. Exposition gegenüber physikalischen Risikofaktoren am Arbeitsplatz, steigende Arbeitsintensität und flexible Beschäftigungspraktiken zählen nach wie vor zu den Hauptursachen für Gesundheitsprobleme bei Arbeitnehmern in der Europäischen Union, wird in dieser Untersuchung festgestellt.

 

 

Abb. 1: Durch Exposition gefährdete Arbeitnehmer in der EU 1990 bis 2000 (Quelle: Europäische Stiftung 2001b)

 

Die Umfrage macht nach Ansicht der Europäischen Stiftung deutlich, dass es in den zehn Jahren seit der ersten Umfrage über die Arbeitsbedingungen weder bei den Risikofaktoren noch bei den Bedingungen am Arbeitsplatz insgesamt zu einer wesentlichen Verbesserung gekommen ist.

 

In diesem Licht besehen ist die BMA-Initiative sehr zu begrüßen. Man sollte jedoch die Umfrageergebnisse der Europäischen Stiftung noch einmal kritisch betrachten. Die Studie will Trends, Anzeichen, Zusammenhänge und Einschätzungen aufzeigen und offenbart damit auch die Grenzen der mit Hilfe eines 80 Fragen umfassenden Fragebogens ermittelten Daten. Die befragten Arbeitnehmer teilen ihre persönlichen Einschätzungen und Empfindungen zu den gestellten Fragen mit, d.h. es werden keine objektiven Messdaten erhoben. Die Rangreihen der EU-Länder, die zu den einzelnen Fragen aufgestellt wurden, suggerieren, dass es „gute“ und „schlechte“ Mitgliedsstaaten gibt. Die Unterschiede beruhen jedoch auf landesspezifisch unterschiedlichen Bewertungen von z.B. Risiko, Gesundheitsproblemen, Selbstbestimmung bei der Arbeit und psychischer Belastung. Im Text der Studie wird jedoch nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Ländervergleiche nicht Ziel der Studie sind.

 

Aber auch die im „Unfallverhütungsbericht Arbeit 1999“ vom BMA veröffentlichten deutschen Zahlen (BMA 2000) beruhigen natürlich nicht und müssen weiter verringert werden. 910 tödliche Unfälle am Arbeitsplatz (1999) und 1.560.000 meldepflichtige Arbeitsunfälle (1999) verursachen nicht nur Leid, sondern auch immense Kosten.

 

Es muss immer wieder deutlich gesagt werden: Die Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und damit auch die Arbeitsgestaltung gehören zu den Pflichten des Unternehmers. Die Rahmenbedingungen und Regeln hierfür sind ausführlich in der Zeitschrift angewandte Arbeitswissenschaft Nr. 163 (März 2000) beschrieben (Schultetus 2000) und sollen hier nur stichpunktartig noch einmal genannt werden:

 

·         EG-Richtlinien

·         Gesetz über technische Arbeitsmittel (Maschinenschutz-Gesetz), 1970

·         Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Arbeitssicherheits-Gesetz), 1973

·         Arbeitsstättenverordnung, 1975

·         Arbeitszeitgesetz, 1994

·         Arbeitsschutzgesetz, 1996

·         Neues Betriebsverfassungsgesetz, 2001

·         Normen und

·         Tarifverträge.

 

Der Artikel 137 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der Fassung von Amsterdam 1997) stellt die Verbindung zur Arbeitsgestaltung her. Er verlangt, „Verbesserungen, insbesondere der Arbeitsumwelt, zu fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen“. Arbeitsumwelt bedeutet hier: Arbeitshygiene, Arbeitssicherheit, Arbeitsumfeld einschließlich -dauer, Organisation und Inhalt der Tätigkeit sowie psychische Belange der Arbeitnehmer.

 

3                    Forschungsprogramme, Initiativen und Richtlinien zur Arbeitsgestaltung und zum Arbeitsschutz

Eine wichtige Quelle für Arbeitsgestaltungsregeln ist die Forschung. Zahlreiche Projekte der Forschungsprogramme „Humanisierung des Arbeitslebens (HdA)“ und „Arbeit und Technik (AuT)“ hatten zum Ziel, die Arbeitsbedingungen für die Menschen zu verbessern. Zu wenige Ergebnisse fanden jedoch Eingang in die betriebliche Praxis, vielleicht auch weil häufig neben dem Nutzen für die arbeitenden Menschen der betriebswirtschaftliche Nutzen nicht dargestellt werden konnte.

 

Einige Forschungsprojekte waren jedoch erfolgreich. Sie wieder in Erinnerung zu rufen und damit wieder nutzbar zu machen, hat sich das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt „Identifizierung und Bilanzierung erfolgreicher Veränderungen in der Arbeitsgestaltung und Unternehmensorganisation“ (kurz „Bilanzierungsprojekt“ genannt) zum Ziel gesetzt. Es ist Teil des Rahmenkonzepts „Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“, das 1999 startete und jährlich mit etwas mehr als 30 Mio. DM ausgestattet ist. Es ist zu hoffen, dass diese Bilanz praxistaugliche Gestaltungshilfen wieder zu Tage fördert. Das Institut für angewandte Arbeitswissenschaft wird darüber berichten und Umsetzungshilfen entwickeln, sobald nach Abschluss des Projekts Anfang 2002 die Ergebnisse vorliegen.

 

Das BMBF-Rahmenkonzept „Innovative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“ fördert jedoch noch weitere Forschungsprojekte, die ebenfalls – zumindest mittelfristig – einen Beitrag zur Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes liefern könnten. So soll im Förderschwerpunkt „Zukunftsfähige Arbeitsforschung“ (August 2000) ein „Selbstinnovationsprozess in der deutschen Arbeitsforschung“ angeregt und der Forschungsgemeinschaft Gelegenheit gegeben werden, „neue Impulse aufzunehmen sowie Ideen zu zukünftigen Organisationsformen in der Arbeitsforschung zu generieren und bis zur Umsetzbarkeit zu entwickeln“.

 

Die Forschungsschwerpunkte des Arbeitsschutzes lagen und liegen noch in den Produktionsbereichen der Wirtschaft. Jedoch steigt der Anteil der Dienstleistungen (1999: 46 %) an der volkswirtschaftlichen Brutto-Wertschöpfung im Vergleich zum produzierenden Gewerbe (1999: 54 %) unaufhörlich. Die Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich wiederum sind stark durch Informationsaufnahme und -verarbeitung geprägt. Sie werden daher in jüngerer Zeit häufig mit hoher psychischer Arbeitsbelastung in Verbindung gebracht.

 

Arbeitskulturen zu schaffen, die einerseits eine hohe Produktivität ermöglichen, andererseits aber die Arbeitsbelastungen für die Menschen in vertretbaren Grenzen halten, ist Ziel des BMBF-Förderschwerpunkts „Entwicklungsfaktoren für den Auf- und Ausbau innovationsförderlicher Unternehmenskulturen und -milieus“, das ebenfalls Teil des Rahmenkonzepts „Innovative Arbeitsgestaltung“ ist. Ausschreibungen des BMBF liegen auch zu den Themen Dienstleistung, e-Commerce und Virtuelle Unternehmen vor.

 

Als Ergänzung – oder doch vielleicht als Konkurrenz? – zu den BMBF-Aktivitäten ist nun die eingangs erwähnte BMA-„Initiative für eine neue Qualität der Arbeit“ veröffentlicht worden. In Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkschaften wird der Entwurf dieser Initiative zurzeit „glatt gehobelt“, denn er enthält noch zahlreiche Ecken und Kanten, an denen sich die interessierten Gruppen und vor allem die betriebliche Praxis stoßen.

 

Zwei Schwerpunkte für die Qualitätsverbesserung der Arbeit nennt die Initiative:

 

1.                  Sicherheit und Gesundheitsschutz in der Bauwirtschaft sowie

2.                  Psychische Fehlbelastungen und Stress.

 

Mit der Behauptung, dass die Arbeitsbedingungen in Deutschland „immer noch durch Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, arbeitsbedingte Erkrankungen und -belastungen gekennzeichnet“ sind, tun die Autoren der „Initiative“ der Wirtschaft Unrecht, denn arbeitsbedingte Erkrankungen und Belastungen sind nicht kennzeichnend für deutsche Arbeitsbedingungen, sondern sie sind erfreulicherweise rückläufig und in vielen Branchen eher gering. Auch Feststellungen zur „Psychischen Fehlbelastung“ sind zum Teil aus arbeitswissenschaftlicher Sicht sehr fragwürdig. Die Entwicklungen der letzten Jahre mit entlastenden Wirkungen für die Arbeitnehmer, wie z.B. die Verringerung der tariflichen Arbeitszeit, der Abbau physischer Belastungen ungünstiger Umgebungseinflüsse, die von modernen Arbeitsformen ausgehende Bereicherung der Arbeit durch Gruppenarbeit sowie Arbeitserleichterungen durch Einsatz moderner Informationstechnologien zeigen ihre Auswirkungen. Psychische Belastungen treten damit in den Vordergrund und werden zum Gegenstand betrieblicher Gestaltungsbemühungen. Die gesundheitlichen Auswirkungen komplexer Umwelteinflüsse, wie z.B. Lärm, Gase und Dämpfe, in Verbindung mit psychischer Belastung sind in der dargestellten Form nicht haltbar. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu komplexen Belastungssituationen liegen nur für Teilbereiche vor (z.B. Lärm) und sind nicht auf die Gesamtheit der Umgebungseinflüsse übertragbar. Auch die angesprochene „Tendenz der Betriebe zu kleineren Einheiten“ führt nicht zwangsläufig zu einem erhöhten Belastungspotential. Geringere Führungsspannen, Teamarbeit und die Möglichkeit zur sozialen Unterstützung sind geeignet, beanspruchungsmindernde Arbeitsweisen zu unterstützen.

 

Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastungen sollte im Hinblick auf eine Beanspruchungsoptimierung in den Unternehmen und im Arbeits- und Gesundheitsschutz vorangetrieben werden. Die internationale Normung stellt hierzu mit der Normenreihe ISO 10075 „Ergonomic principles related to mental work load“ Gestaltungshilfen bereit.

 

Die Verwendung der Begriffe „Fehlbelastung“ und „Stress“ sind in diesem Zusammenhang wenig hilfreich. Die Arbeitswissenschaft geht, im Unterschied zur Umgangssprache, von einem wertneutralen Belastungsbegriff aus. Belastungen führen beim Arbeitenden zu Beanspruchungen, die von negativen und positiven Folgen begleitet werden können. Mögliche positive Folgen, wie z.B. Aktivierung, Trainings- und Lerneffekte, können durch Arbeitsge­staltung selbstverständlich auch erreicht und sollten daher in diesem Zusammenhang ebenfalls dargestellt werden.

 

Die „psychische Belastung bei der Arbeit“ erfordert eine intensive Betrachtung und eine angemessene Berücksichtigung bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Die praxisnahe Auseinandersetzung mit dem Thema unter Beteiligung von Arbeitswissenschaftlern muss daher weiter vertieft werden. Eine Systematisierung vorhandener Ansätze, die Erarbeitung einheitlicher Gütekriterien und die Aufbereitung für die betriebliche Praxis sind notwendig. Ein enger Schulterschluss ist hierbei mit der internationalen Normung zu suchen, die derzeit an Kriterien zur Messung und Bewertung der psychischen Belastung arbeitet. Politische – wenn auch gut gemeinte – Forderungen nach der Verbesserung der Arbeitsbedingungen müssen auf objektivierbaren und arbeitswissenschaftlichen Grundlagen basieren und mit wirtschaftlich vertretbaren Aufwänden geleistet werden können.

 

Den Gesundheits- und Arbeitsschutz zu fördern ist eine zentrale Aufgabe der Generaldirektion Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten der Europäischen Kommission. Hierzu erlässt sie Richtlinien, die dann in nationales Recht umgesetzt werden müssen.

 

Eine wesentliche Leitlinie für die Produktgestaltung ist die Maschinen-Richtlinie, eine Richtlinie zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften bezüglich des Binnenmarktes. Die Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz wurde zum Grundgesetz des europäischen Arbeitsschutzes (89/391/EWG vom 12.06.1989). Diese Rahmenrichtlinie enthält Mindestvorschriften zur Verbesserung der Arbeitsumwelt. Sie wurde durch weitere Richtlinien spezifiziert. Im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz stehen hier insbesondere die Richtlinien Manuelle Handhabung von Lasten und Bildschirmgeräte.

 

Die Umsetzung dieser Richtlinien geschah in Deutschland durch das Arbeitsschutzgesetz (August 1996), die Bildschirmarbeits-Verordnung (Dezember 1996), die Lastenhandhabungs-Verordnung (Dezember 1996), die Arbeitsmittelbenutzungs-Verordnung (März 1997) und die Benutzungs-Verordnung für Persönliche Schutzausrüstungen (Dezember 1996).

 

Darüber hinaus stehen zwei neue Richtlinien-Entwürfe zu „Vibrationen“ und „Lärm“ vor der Verabschiedung durch das Europäische Parlament. Vibrationen und Lärm sind Umgebungseinflüsse, die unbestritten zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Andererseits müssen die Grenzwerte auf einer soliden wissenschaftlichen Basis beruhen und sich an für die Wirtschaft Machbarem orientieren. Aus diesem Grunde hat Deutschland auf verschiedenen Kanälen gegen die in den Richtlinien-Entwürfen abgesenkten Grenzwerte eingesprochen. Unabhängig davon, ob und wie den deutschen Einsprüchen gefolgt wird, wird die Umsetzung dieser Richtlinien in deutsche Verordnungen bald Richtschnur für die Unternehmen sein und die bisherigen Regelungen in der Arbeitsstätten-Verordnung ablösen.

 

Die Neue Konzeption hat in Europa zu einer engen Verflechtung von Gesetzgebung, Normung, angewandter Forschung, Prüfung und Zertifizierung geführt. Sie sieht vor, dass harmonisierte europäische Normen in erster Linie Konstrukteure und Hersteller bei der Einhaltung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen der Binnenmarktrichtlinien unterstützen sollen. Ein kohärentes Normenwerk aus Produktnormen und Prüfverfahren liegt heute vor. Die europäischen Arbeitsschutzinstitutionen unterstützen durch ihre Mitarbeit in Normung, Prüfung und Zertifizierung und durch begleitende Forschung wesentlich die Prävention. Dabei tragen die durch Prüfung und Zertifizierung gewonnenen Erkenntnisse ebenso wie Erkenntnisse aus der angewandten Forschung zur Verbesserung der Normen bei. Bestimmte grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen werden in den europäischen Normen jedoch nicht ausreichend berücksichtigt. Dies gilt z.B. für ergonomische Aspekte bei der Produktgestaltung und für die Emissionen von Maschinen.

 

Mit der Globalisierung der Märkte wächst die Forderung nach internationalen Normen. Abkommen tragen zur Annäherung europäischer und internationaler Normung bei. Es gilt daher, das Schutzniveau, wie es in europäischen Binnenmarktrichtlinien gefordert und durch harmonisierte europäische Normen konkretisiert wird, auch in der internationalen Normung zu verankern. Dabei haben die Arbeitsschutzinstitutionen einzelner Mitgliedsstaaten alleine nur begrenzte Möglichkeiten, ihre Anliegen in die internationale Normung einzubringen. Viel effizienter wäre eine Abstimmung dieser Institutionen auf europäischer Ebene, so dass in der internationalen Normung eine gemeinsame Position vertreten werden kann. Dies kann mit Hilfe eines europäischen Netzwerkes geschehen, in dem Arbeitsschutzexperten die Möglichkeit haben, zu allen wichtigen Arbeitsschutzfragen eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) leistet hierzu wertvolle Beiträge.

 

4                    Die Umsetzung für eine neue Qualität der Arbeit

Bekanntlich bedürfen Forschungsergebnisse häufig noch einer gewissen „Nacharbeit“, um für die Anwendung in der betrieblichen Praxis tauglich zu sein. Das gilt erst recht auch für „Initiativen“, die im Allgemeinen ja erst Maßnahmen auslösen sollen. Derartige Maßnahmen sind beispielsweise in unseren Nachbarländern auf unterschiedliche Weisen ergriffen worden.

 

Beispiele neuer Strategien in den europäischen Nachbarländern:

 

·         In Dänemark

ist es das Aktionsprogramm „Saubere Arbeitsumgebung im Jahr 2005“, mit dem tödliche Arbeitsunfälle, die Exposition schädlicher Substanzen, arbeitsbedingte Verletzungen, Verletzungen bedingt durch schweres Heben, Berufskrankheiten durch monotone, repetitive Arbeit und Schädigungen durch arbeitsbedingte psycho-soziale Risikofaktoren sowie Hörschäden durch Lärm bei der Arbeit verringert oder vermieden werden sollen.

 

·         In Finnland

wird die Erhaltung und Förderung der Beschäftigungsfähigkeit der Menschen angestrebt beispielsweise durch Prävention von arbeitsbedingten Muskel- und Skeletterkrankungen, Förderung des „mentalen Wohlbefindens“ bei der Arbeit und der Förderung der Fähigkeiten der Beschäftigten zur Ausführung der Arbeit.

 

·         In Großbritannien

verfolgt man die Ziele, höhere Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Standards zu praktizieren, erforderliche Kompetenzen sicherzustellen und Sicherheit und Gesundheitsschutz durch Projekte in den Unternehmen zu kommunizieren. Ganz konkret will man die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen um 30 %, die schweren Arbeitsunfälle um 10 %, bis zum Jahre 2010 reduzieren.

 

·         In Schweden

will man intensiv den Folgen hoher psychischer Belastung entgegenwirken, z.B. durch offensive und systematische Arbeitsplatzverbesserungen, die zu verminderten Kosten sowie einer wachsenden Produktivität führen werden.

 

Alle diese Initiativen bedürfen jedoch einer methodischen Vorgehensweise bei ihrer Umsetzung. Hierbei hilft den Unternehmen zunächst einmal eine ganzheitliche Betrachtung aller Produktionsprozesse. Hat man die Prozesse identifiziert, die für den Arbeitsschutz und eine qualitative Verbesserung der Arbeit wichtig sind, dann müssen für deren Gestaltung Methoden zur Verfügung stehen.

 

Das IfaA erarbeitet zurzeit mit Betriebspraktikern und Verbandsingenieuren einen Katalog mit den wesentlichen arbeitswirtschaftlichen Methoden zur Gestaltung der Arbeit. Ziel ist es nicht, neue Methoden zu entwickeln, sondern an vorhandene und bewährte Vorgehensweisen zu erinnern und ihren jeweiligen Nutzen zu beschreiben.

 

Mit dem Ziel Best Practice-Beispiele für die wirtschaftliche Gestaltung von Produktionsprozessen aufzuzeigen, führen die Metall- und Elektro-Arbeitgeberverbände Hessen und Baden-Württemberg eine Workshopreihe durch, die vom IfaA Anfang 2002 in Form eines Taschenbuches dokumentiert werden wird. Auch wenn die Gestaltungsmethoden häufig den Arbeitsschutz nicht explizit als Ziel nennen, so wirken sie doch vielfach in diese Richtung, wenn sie verbesserte Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsorganisation und Arbeitszeitflexibilisierung  (IfaA/Gesamtmetall 2001)  anstreben. Eben­so ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz ein wichtiges Element bei der Bildschirmarbeit und Büroraumgestaltung (IfaA 2002), und er darf auch bei der Organisation von Telearbeit und modernen Bürokonzepten (IfaA 2002) nicht vergessen werden.

 

5                    Fazit

Eine neue Qualität der Arbeit wird u.a. dadurch erreicht, dass die Arbeit noch besser an die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen angepasst wird, damit sie gesund bleiben und Freude an der Arbeit haben. Gesundheit und Wohlbefinden sind die Voraussetzungen für Kreativität, Leistungsfähigkeit und Motivation und damit auch Voraussetzung für jede Wertschöpfung (BMA 2001).

 

Methodisches Vorgehen bei der Planung und Realisierung von Arbeitsprozessen in Produktion und Dienstleistung sorgt für sicheres und effizientes Arbeiten.

 

6                    Literatur

BMA – Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.): Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 1999, Unfallverhütungsbericht Arbeit, Bonn 2000

 

BMA – Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.): Initiative für eine neue Qualität der Arbeit. Entwurf (27.08.2001), S. 1-16

 

Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen: communiqué, Oktober No. 10 (2001), Dublin, 2001a

 

Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen: Die Europäische Union setzt sich seit zehn Jahren für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein (3. Europäische Umfrage), Dublin 2001b

 

Gesamtmetall u. IfaA (Hrsg.): Leitfaden ARBEITsZEIT – so geht’s. Köln: edition agrippa, 2001

 

IfaA (Hrsg.): Taschenbuch Bildschirmarbeit und Büroraumgestaltung > Arbeitstitel <. In Vorbereitung, 2002

 

IfaA (Hrsg.): Zeitgemäße Bürokonzepte und Telearbeit > Arbeitstitel <. In Vorbereitung, 2002

 

Schultetus, W.: Arbeitsgestaltung zur Förderung der Gesundheit und Wettbewerbsstärke. In: angew.Arbeitswiss. (2000), Nr. 163, S. 1-19

 

 

                                                                        Anschrift des Verfassers:

                                                                        Dipl.-Ing. Wolfgang Schultetus

                                                                        Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V.

                                                                        Marienburger Str. 7

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